Levende Talen. Jaargang 1937
(1937)– [tijdschrift] Levende Talen–Zur didaktik der lebenden sprachen.
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Die Wissenschaft von der deutschen Sprache hat kürzlich einen ihrer bedeutendsten Vertreter in Deutschland verloren: Konrad Burdach ist ihr in hohem Alter durch den Tod entrissen worden. Seine Verdienste um die Wissenschaft der deutschen Sprache aufzuzählen, namentlich um die Erforschung der Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache und des Einflusses der italienischen Renaissance auf das deutsche Geistesleben im Uebergang vom Mittelalter zur Neuzeit, ist hier nicht der Ort. Bei dem engen Zusammenhang, der zwischen Didaktik und Linguistik besteht, sind für uns vor allem seine Bemerkungen zur Geschichte seiner eigenen Wissenschaft von Bedeutung, so wie wir sie in dem Sammelband: ‘Die Wissenschaft von deutscher Sprache, ihr Werden, ihr Weg, ihre Führer’Ga naar voetnoot1) aus kleineren Schriften ausgewählt finden. Unter anderen Beiträgen zur Biographie bedeutender Germanisten finden wir darin auch einen Abschnitt über Persönlichkeit und Wirkung Rudolf Hildebrands, der von allen Fachgenossen seiner Epoche am stärksten und unmittelbarsten einen Einfluss auf den deutschen Unterricht gesucht und gefunden hat. Aber der Wert des ganzen Bandes, wie auch des Abschnittes über Hildebrand, liegt nicht in den spärlichen Stellen, wo Fragen des deutschen Unterrichts selbst berührt werden, sondern in den zahlreichen Bemerkungen über den wissenschaftlichen Charakter der Sprachforschung überhaupt, die sich durch den III. bis VI. Abschnitt der Sammlung hindurchziehn. An der Vorrede von Jakob Grimms ‘Deutscher Grammatik’ zeigt Burdach, wie die neue Wissenschaft entsteht. Sie wendet sich gegen die alte spekulative und logische Richtung der Sprachbetrachtung, sie schliesst sich an naturwissenschaftliche Vorbilder an. Die Naturvergleiche Grimms haben, ebenso wie die Goethes, seines bewunderten Meisters, eine realistische Seite, und auch die Beschäftigung mit der Geschichte erschliesst dem Forscher ein neues Gebiet von Tatsachen. Die Brüder Grimm und Karl Lachmann, deren Briefwechsel Burdach mit einer Einleitung versieht, kommen alle drei von der Romantik her, aber, und damit schliesst er seine Untersuchung an dieser Stelle ab, alle drei sind bestrebt, sie zu überwinden und durch strenge wissenschaftliche Erkenntnis zu ersetzenGa naar voetnoot2). Auf diesem Wege | |
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schreitet die Sprachforschung zunächst weiter, getragen von zwei aufeinander folgenden Gelehrtengenerationen, und fasst die grossen Veränderungen im Lautbestand, die den Uebergang von einer Sprache zur anderen bezeichnen, unter sogenannten Lautgesetzen zusammen. Diese Art der Sprachbetrachtung hat ihr relatives Recht durch eine grosse Anzahl umfassender und gesicherter Ergebnisse der Forschung erwiesen, ihre Gefahr besteht jedoch darin, dass sie die seelischen Vorgänge beim Sprechen zu sehr vereinfacht. Psychologisch erscheint dann die Sprache im wesentlichen als Nachahmung, und die Analogiebildung, die ja auch nur eine Form der Nachahmung ist, wenn auch stärker vom Bewusstsein begleitet, wird auch bei der Erklärug grammatischer und stilistischer Veränderungen vorherrschend. Da die Vorgänge bei der Lautbildung nicht ins Bewusstsein fallen, so wird die Sprache in der Hauptsache als eine unbewusste Leistung angesehen, innerhalb dieses Bereichs aber wird sie auf möglichst wenige und möglichst elementare Vorgänge zurückgeführt. Die Reaktion gegen diese Verengung tritt in der deutschen Sprachwissenschaft ungefähr mit der Jahrhundertwende in Erscheinung. Je mehr die sprachgeschichtlichen Forschungen sich der neueren Zeit mit ihrem lebendigeren historischen Profil nähern, um so deutlicher zeigt sich, wie mannigfaltig die seelischen Vorgänge sind, die sich bei sprachlichen Veränderungen abspielen, und wie oft sogar bewusste Handlungen in das Leben der Sprache eingreifen. Dass sich die Auseinandersetzung zwischen der älteren und der neueren Richtung der Sprachwissenschaft als eine solche zwischen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisprinzipien, zwischen Idealismus und Positivismus abspielte, ist zeitgeschichtlich bedingt und braucht uns heute nicht mehr zu beschäftigen. Wir haben es in Wirklichkeit nicht mit einem Gegensatz zwischen unvereinbaren Grundauffassungen zu tun, sondern mit verschiedenen Betrachtungsweisen, die sich ergänzen. Der Einblick in die seelischen Vorgänge, die sich bei der Ausbildung und Abwandlung der Sprache abspielen, ist besonders von der Seite der Literarhistoriker aus im letzten Menschenalter gewaltig vertieft worden, Burdach selbst bietet ein Beispiel der Verbindung verschiedener Ansichten vom Wesen der Sprache zu einem einheitlichen Gesamtbild. Dieser Praxis entspricht sein abschliessendes Urteil: ‘Neben dem naturhaften Leben der Sprache waltet unablässig wirkend das Sprachbewusst- | |
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sein, und aus ihm fliesst sichernd, ausgleichend, verdeutlichend, regelnd oder auch künstlerisch verfeinernd, veredelnd verschönernd die Sprachgestaltung.’Ga naar voetnoot1) Das Verhältnis der Didaktik der lebenden Fremdsprachen zur Sprachwissenschaft zeigt uns in grossen Zügen folgendes Bild: Zunächst wird die Methode des Unterrichts in den neueren Sprachen noch von dem Vorbild der alten Sprachen beherrscht. Ihr Einfluss verhindert es lange Zeit, dass die neuen Auffassungen der Wissenschaft vom Wesen der Sprache Einfluss auf den Unterricht gewinnen. In diesem überwiegt die grammatische Methode noch ein rundes Jahrhundert lang, nachdem sich die Philologie von der logisch-grammatischen Betrachtung der Sprache entfernt und ihrer physiologischen und elementar-psychologischen Seite zugewandt hat. Erst um die Jahrhundertwende setzen sich, nach langen heftigen Diskussionen, diese Auffassungen in der Schule soweit durch, dass ihnen ein bestimmter Teil des Sprachunterrichts überlassen wird, vor allem die Anfangsjahre. Um diese Zeit beginnt in der Sprachwissenschaft selbst schon die Reaktion gegen die Einseitigkeit dieser Sprachbetrachtung, die sich mit ihren neuen psychologischen und soziologischen Auffassungen über den Sprachprozess ziemlich rasch, nämlich schon im dritten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, durchsetzt. Dabei kommt ihr die pädagogische Reformbewegung von sich aus zur Hilfe, wissenschaftliche und erzieherische Tendenzen wirken diesmal zusammen. In der Entwicklung des neusprachlichen Unterrichts sind also in der letzten Zeit zwei Abschnitte zu erkennen, die äusserlich und auf internationalem Boden durch die bisherigen beiden internationalen Kongresse der ‘Association des professeurs de langues vivantes de l'enseinement public’ bezeichnet werden, den ersten in Paris i. J. 1909, den zweiten in derselben Stadt i. J. 1931.Ga naar voetnoot2) Es ist nützlich, ihre Verhandlungen einer kurzen Betrachtung zu unterziehen, weil dadurch die Grundlagen klarer werden, auf denen auch die späteren Untersuchungen zur Didaktik der lebenden Fremdsprachen noch fussen. Der Kongress von 1909 zeigt noch deutlich den Kampf der damaligen alten und neuen Richtung. In den Verhandlungen nimmt die Frage des systematischen Grammatik- | |
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unterrichts einen breiten Raum ein, und die Resolution zu dieser Frage ist ein Kompromiss, bei dem offen bleibt, was es praktisch bedeutet.Ga naar voetnoot1) Aber das eigentliche Interesse gilt doch schon der direkten Methode: was sie ist und wie weit sie angewandt werden soll. Sie selbst befindet sich jedoch schon wieder in Fluss. Ihre ältere Form tritt deutlich in dem Bericht von Pinloche hervor. Sie erscheint darin als ein Anschauungsunterricht, bei dem in den ersten Jahren eine gewisse Vokabelkenntnis, und zwar beschränkt auf Konkreta und Bezeichnungen einfacher Gefühle, erworben wird.Ga naar voetnoot2) Infolgedessen ist ihre Anwendbarkeit beschränkt. Uebrigens gibt Pinloche in einer Anmerkung zu seinem Bericht eine vorzügliche, an sich gar nicht angreifbare Darstellung der Unterschiede, die praktisch zwischen der Erlernung der Muttersprache und der einer Fremdsprache bestehn.Ga naar voetnoot3) Aber in der Rede, mit der Ferdinand Brunot die Verhandlungen einleitet, kommt bereits eine kühnere, umfassende Auslegung der direkten Methode zum Ausdruck. Indem er ihre Vertreter auffordert, auf ihrem Wege zu bleiben, deutet er ihnen zugleich den Sinn ihres Tuns. ‘Ce qu'il y a d'éducatif dans vos leçons, c'est précisément de faire vivre l'enfant pendant quelques heures de la semaine dans votre petite Allemagne, dans votre petite Italie, de l'assimiler à ce milieu, de lui faire connaître des choses, des moeurs, des idées, qu'il n'a pas naturellement.’Ga naar voetnoot4) Damit ist zugleich die Richtung gewiesen, in der sich der neusprachliche Unterricht weiter ausbilden wird. Auf dem Kongress von 1931 berichtet Gaston Varenne über die Interpretation fremdsprachlicher Werke und die Auswahl der Lektüre und knüpft zum Schluss an den Kongress von 1909 an, indem er aus dem Referat von A. Koszul die Forderung wiederholt, dass der Lehrer der lebenden Fremdsprachen eine Leidenschaft für die Besonderheiten und für die Wirklichkeit überhaupt haben müsse.Ga naar voetnoot5) Aber die Verhandlungen d. J. 1931 gehn über diesen allgemeinen Realismus hinaus, indem sie dem neusprachlichen Unterricht ein bestimmtes inhaltliches Programm geben. Der Lehrer der fremden Sprache soll den Schüler zugleich in die | |
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Kultur einführen, deren Ausdruck jene ist, damit er erkennt, dass der menschliche Gedanke in seinem Wesen einer und derselbe ist, welches auch die Sprache sein möge, in der er sich ausdrückt.Ga naar voetnoot1) Das ist der Inhalt des modernen Humanismus, der an vielen Stellen der Reden und Berichte berührt und von André-Louis Foutet genauer entwickelt wird.Ga naar voetnoot2) Der methodische Gesichtspunkt scheint dem gegenüber zurückzutreten, aber das Gebiet der Didaktik wird in dem Bericht von Else Köhler von neuem beschritten, und zwar diesmal unter einem Gedanken, der gegenüber der bisherigen Ausgestaltung des neusprachlichen Unterrichts eine neue Wendung bedeutete, dem der Selbsttätigkeit des Schülers. In ihrem Bericht auf dem Kongress van 1931: Quelques considérations sur l'évolution scientifique de la didactique des langues vivantes' gibt Else Köhler zunächst einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung, die dieses Gebiet des Unterrichts in dem vergangenen halben Jahrhundert durchgemacht hat. Es ist von Anfang an üblich gewesen, diese Zeit als die der Reform zu bezeichnen, aber wenn man die Worte genau gebraucht, so handelt es sich nicht um die Wiederherstellung eines einst blühenden Zustandes, der in Verfall geraten ist, sondern um eine fortschreitende Verbesserung von bescheidenen Anfängen aus. Der erste Abschnitt dieser Periode wird von dem Ringen um die Technik des Unterrichts ausgefüllt, das in einem Kompromiss endet. Die neue direkte Methode dringt vor, ohne die alte logisch-grammatische völlig zu verdrängen. In diesem Ergebnis kommt zum Ausdruck, dass die Psychologie in ihrem damaligen Zustand den Sprachunterricht zwar durch eine Reihe von wichtigen Teileinsichten in den Prozess des Spracherwerbs beeinflusst und umgestaltet hat, zu einer umfassenden, alle Seiten berücksichtigenden Behandlung des Problems reichten ihre Mittel jedoch noch nicht aus. Während diese Umstellung des Sprachunterrichts jedoch noch im Gange ist, schreitet die Psychologie weiter und versucht, auf ihren einzelnen Gebieten über die bisher errungenen Teilerkenntnisse hinaus und unter ihrer Verwertung und Vermehrung zu umfassenden Gesamtansichten zu kommen. Die direkte Methode beruhte auf zutreffenden, wenn auch unvoll- | |
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ständigen Vorstellungen über die psychologischen Vorgänge bei der Aneignung einer Sprache. Dabei lag die allgemeine Auffassung zugrunde, dass man sich das Seelenleben des Menschen voluntaristisch zu denken habe. Ueber beide Gebiete, sowohl über die Erlernung einer Sprache, wie auch über die Formen der Aktivität und ihre Entwicklung vor allem bei dem Kinde als dem noch im Aufbau befindlichen Menschen, sucht nun die sog. Wiener Schule der Psychologie zu einem Gesamtbild zu kommen, soweit es die vorliegenden Forschungsergebnisse gestatten, und an dieser Stelle setzt die Arbeit von Else Köhler ein. Sie wendet die Ergebnisse der psychologischen Forschung auf die bestimmte pädagogische Situation an, die sich ergibt, wenn Kinder in einer Schulklasse eine lebende Fremdsprache erlernen, vermehrt und vertieft sie durch eigene Untersuchungen und gelangt so in ihrem Bericht vor dem Pariser Kongress zu einer Didaktik des neusprachlichen Unterrichts in grossen Linien, die zusammenfasst, ausgleicht und über die bisherigen Versuche prinzipieller Art hinausführt.Ga naar voetnoot1) Sie ist eingegangen in das Buch: ‘Entwicklungsgemässer Schaffensunterricht als Hauptproblem der Schulpädagogik’, das Else Köhler unter Mitarbeit von Karl Reininger und Ingeborg Hamberg veröffentlicht hat.Ga naar voetnoot2) Obwohl es eine psychologische Untersuchung ist und der fremdsprachliche Unterricht der höheren Schule darin nur als illustratives Beispiel erscheint, verdient es die stärkste Beachtung in der Didaktik der lebenden Fremdsprachen. Ingeborg Hamberg stellt die Methode des Anfangsunterrichts dar, indem sie psychologisch und didaktisch ihre Erfahrungen während eines Jahres deutschen Unterrichts bei schwedischen Kindern analysiert. Die Hauptherausgeberin entwickelt vor uns die psychologischen Ergebnisse, die sie für die Theorie und Praxis des Schaffensunterrichts aus acht Jahren französischen Unterrichts an der Wiener Bundeserziehungsanstalt für Mädchen gewonnen hat. Das Kernstück in der wissenschaftlichen Beschreibung ihrer Erfahrungen bildet das Kapitel über die vier Wochen, die ihre Klassen in Abwesenheit der Lehrerin in freier, von den Schülerinnen selbst geleiteter Tätigkeit zubringen. Das allgemeine Ergebnis dieses Versuches darf man so charakterisieren, dass die Schülerinnen zwar den | |
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Lehrer auf die Dauer als unentbehrlich empfinden und ihn herbeiwünschen, dass sie aber doch sich selbst und die Gruppe der Klasse als die eigentlichen Träger des Arbeitsvorganges ansehn. Es ist wohl nicht zu verkennen, dass diese Auffassung der Schülerinnen von der pädagogischen Situation und ihrer Funktion ein Ergebnis der Erziehung selbst ist und zugrunde ginge, wenn diese sich ihrem Geiste nach änderte und z. B. in den Seelen der Schüler nicht mehr die Anlagen entwickelte, die zu Selbständigkeit und Selbstverantwortung führen können, sondern diejenigen, die zu Unterwerfung und Gehorsam gegenüber einer äusseren Autorität befähigen. Den Auswertungen bestimmter pädagogischer Erfahrungen geht eine genaue psychologische Analyse der Begriffe voraus, die für die Pädagogik der Selbsttätigkeit wesentlich sind: Spielen, Arbeiten, Schaffen usw. Es drängt sich nun die Frage auf, ob zwischen der allgemeinen Theorie des Schaffensunterrichts, die Else Köhler gibt, und der Didaktik der lebenden Fremdsprachen noch eine andere Beziehung als die der Anwendung auf ein Teilgebiet besteht. Sie ist, wie ich glaube, zu bejahen, und zwar deshalb, weil jene Sprachen ihre heutige Form selbst der freien geistigen Tätigkeit, der Diskussion und dem ständigen Bestreben zu weiterer Entfaltung ihrer Möglichkeiten verdanken. Für erstarrte Sprachen wäre die Methode des Schaffensunterrichts nicht anwendbar, auch wenn man sich ihrer Formen technisch bedienen wollte. - Else Köhler fasst die verschiedenen Gesichtspunkte, von denen sie sich beim Aufbau ihres didaktischen Systems hat leiten lassen, in dem Schema eines ‘dynamischen Lehrplans’ zusammen. Auf der ersten Stufe entsteht das neue Sprachsystem im Kinde, und zwar in den vier Perioden der phonetischen Vorschulung, der Sprachauffassung, des aktiven Sprechens und der grundlegenden grammatischen Abstraktionen. Die zweite dient der Befestigung der neu erworbenen Sprache, in vorwiegender Einstellung auf Grammatik und Stil. Auf der dritten wird sie dann zum Studium der fremden Kultur gebraucht. Jede dieser drei Stufen umfasst zwei Jahre. Im Blickpunkt des Lehrers steht auf der ersten das aktive Kind, auf der zweiten die Fremdsprache selbst, mit ihren Besonderheiten, auf der dritten die Kultur, die in ihr und durch sie lebt. Wir haben es mit dem wohl durchdachten, an der Erfahrung gewonnenen Versuch einer Synthese zu tun, der man einen erheblichen Einfluss auf | |
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die fernere Entwicklung der neusprachlichen Didaktik zusprechen möchte.Ga naar voetnoot1) Als eine Ergänzung zur der Darstellung, die Ingeborg Hamberg über den deutschen Anfangsunterricht bei schwedischen Kindern gibt, lässt sich die Schrift von Marie Duve, ‘Umbruch und Aufbruch. Neueinstellung im englischen Unterricht’Ga naar voetnoot2) betrachten. Dem Titel nach könnte es scheinen, als ob uns hier völlig neue Gedanken geboten würden. Das wäre aber nach einer Diskussion von Jahrzehnten nur möglich, wenn ihre Ergebnisse zunächst kritisch vor uns entwickelt würden, und davon ist hier nicht die Rede. Das Buch selbst erhebt auch einen solchen Anspruch nicht, es enthält eine lebendige und anziehende Beschreibung des Weges, den Marie Duve als Sucherin auf eigene Hand zurückgelegt hat, um von dem überlieferten Lehrverfahren zu dem besseren neuen zu kommen, und der Grundzüge ihrer Unterrichtsweise selbst. Sie hat ihre Erfahrungen im Unterricht an einer Mittelschule erworben. Diese Schulform steht im allgemeinen der höheren Schule nahe, unterscheidet sich von ihr aber durch stärkere Betonung der praktischen Ziele im Unterricht. Der fremdsprachliche Unterricht braucht sich also nicht allzu sehr durch Rücksichten auf die allgemeine sprachlich-logische oder die historische und ästhetische Bildung der Schüler bestimmen zu lassen. Diese sollen vor allem die Sprache erlernen, das ist die einfache Aufgabe, die der Unterricht sich stellen muss. Die Ausführungen der Verfasserin über den Grammatikunterricht: dass er von der Analyse der gesprochnen Sätze ausgehn und über ein grammatisch orientiertes Sprechen erst am Schluss zu einer systematischen Zusammenfassung führen müsse, erscheinen ebenso zutreffend wie ihre besondere Forderung, dass bei der Behandlung des Verbums kein Schnitt zwischen der Formenlehre und der Anwendung der Formen | |
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gemacht werden dürfe, Formenlehre und Syntax also möglichst miteinander zu verbinden seien. Ob man sich bei der Vermittlung eines fremdsprachlichen Wortschatzes längere Zeit auf die Gegenstände des täglichen Lebens und der eigenen Umgebung beschränken oder sehr bald die Verhältnisse des fremden Landes heranziehn solle, ist eine Frage, über die sich streiten lässt. Marie Duve spricht sich dafür aus, zunächst bei den Gegenständen und Vorgängen der eigenen Umgebung zu bleiben. Hinter dieser Meinungsverschiedenheit, die sich praktisch auf ein Früher oder Später beschränkt, steckt doch, wenn man sie weiter verfolgt, die grosse Frage, welcher Raum der fremden Kultur im Sprachunterricht freigemacht werden soll. In dem Auf und Ab der Gesichtspunkte, wie wir es in der Geschichte der fremdsprachlichen Didaktik beobachten, ist es notwendig, dass die Erlernung der Sprache selbst von einigen mit einer ausschliessenden, andere Ziele mindestens zurückdrängenden Hingabe betrieben wird, und das geschieht in dem Unterricht, den Marie Duve beschreibt. Im Mittelpunkt der gegenwärtigen didaktischen Forschung steht jedoch aus. guten Gründen die Frage, wie der Schüler in das Verständnis der fremden Kultur eingeführt werden soll. Sie wird umfassend von Eduard Schön in seinem Buch: ‘Bildungsaufgaben des französischen Unterrichts’ behandelt. Ihm war eine kürzere Studie vorausgegangen: ‘Sinn und Form einer Kulturkunde im französischen Unterricht’. Eine Darstellung der französischen Geschichte von Ravizé - Schön, ‘Deux mille ans de vie française’ ist dem grösseren Werk gefolgt und dient ihm zur Illustration seiner Absichten, obwohl es allgemeinere Zwecke als solche der Schule verfolgtGa naar voetnoot1). Schön fasst in den ‘Bildungsaufgaben’ zunächst die Theorie über das Verstehen einer fremden Kultur zusammen, die in der deutschen Philosophie in langwierigen Diskussionen über Begriffe wie Einheit und Ganzheit, Sinn und Wert, Ausdruck und Bedeutung herausgearbeitet worden ist und ihrer Tradition nach bis auf die Romantik und die idealistische Schule zurückführt Sie betrachtet die einzelnen Völker wie in sich abgeschlossene Individuen, jedes mit Eigenschaften verschiedener Art, die | |
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zusammen ein Ganzes von besonderer Beschaffenheit bilden. Aber sie neigt dazu, die Gradlinigkeit, mit der sich Völker und Individuen aus ihren Anlagen heraus entwickeln, ebenso zu überschätzen wie ihre Unabhängigkeit gegenüber Einflüssen von aussen. Schön erhebt dagegen Kritik, indem er sagt: ‘Das volkhafte Wesen bleibt sich nicht immer gleich, lebt sich nicht etwa nur nach vorgebildeten Anlagen aus, sondern findet und schafft sich selbst, ändert und entwickelt sich, am stärksten gerade durch das Verarbeiten des von aussen Kommenden’Ga naar voetnoot1). Es ist hier nicht der Ort, an jener Theorie im ganzen Kritik zu üben, Schön hält auch an ihr fest, aber er deutet doch wiederholt auf ihre Gefahren hin. Wie er sich die Interpretation eines literarischen Werkes unter verschiedenen Gesichtspunkten denkt, zeigt er am Beispiel des ‘Zadig’ von Voltaire. Man kann ihn dreifach behandeln, entweder indem man daran bestimmte Eigenschaften Voltaires und der französischen Denkweise überhaupt klarmacht, oder als ein Denkmal der Aufklärung, oder nach seinem Charakter als Roman und seiner Stellung innerhalb dieser Kunstform.Ga naar voetnoot2) Der zweite, umfangreichere Teil des Buches erläutert die allgemeine Theorie durch ausgewählte Kapitel aus der Praxis der höheren Schule. Sprache und Literatur stehn für Schön auch weiter im Mittelpunkt des fremdsprachlichen Unterrichts, doch werden auch die bildende Kunst, die allgemeine Geschichte und die Erdkunde herangezogen. Sein Werk ist in wesentlichen Teilen ein Gegenstück zu dem von Fouret, ‘Les humanités modernes’, das er auch mehrmals zustimmend zitiert. Schöns Bildungsziele sind ebenso wie die des französischen Kollegen humanistischer Art. Was dieser über die Erziehung zur Kritik, Genauigkeit und geistigen Freiheit durch das ‘enseignement désinteressé’ der Sprachen und Literaturen sagt, nimmt Schön auf und führt es etwas anders aus. Aber in anderer Richtung überschreitet er den Rahmen, den sich der französische Pädagoge gezogen hat. Während dieser die Einführung in die Kultur, die er als ein Ziel des neusprachlichen Unterrichts ansieht, philologisch vor allem auf das vergleichende Studium mehrerer Sprachen begründet, soll die Persönlichkeitsbildung, zu der wie aller Unterricht so auch der neusprachliche | |
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beizutragen hat, in einer inneren Auseinandersetzung mit dem Wesen der französichen Kultur in ganzen vor sich gehn.Ga naar voetnoot1) An zwei Stellen, bei seinen Ausführungen über den Geschichtsunterricht und die Kunstbetrachtung, schlägt Schön vor, dass sich sach- und schulkundige Franzosen und Deutsche zusammentun sollten, um geeignete Texte für den fremdsprachliehen Unterricht zu schreiben, weil sie so, wie man sie im Unterricht braucht, in der französischen Literatur begreiflicher Weise nicht vorhanden seien.Ga naar voetnoot2) Aus solchen Ueberlegungen sind offenbar ‘Deux mille ans de vie française’ entstanden, obwohl die beiden Verfasser in der Einleitung angeben, dass sie für Leser mit bereits gereiftem Geiste schreiben. Die Ziele, die sich das Buch steckt, entsprechen der Theorie über das Verstehen fremder Kulturen und seinen erzieherischen Wert, wie Schön sie in seinem Hauptbuch dargestellt hat. Es will eine Biographie des französischen Menschen, ein individuelles Porträt des Franzosen geben und die tieferen Züge darin zeigen, die unter allem Wechsel der Geschichte immer die gleichen bleiben, ‘son sens de la mesure, de l'ordre et de l'équilibre, de la clarté et de la raison, son don naturel de la forme aimable et séduisante, son éloquence spontanée, son effort pour faire sentir son influence sur le monde cultivé dans toute l'Europe, sa subordination de l'individu à des règles de société, son amour du sol natal, de la patrie, de la liberté.’Ga naar voetnoot3) Diese allgemeinen Züge des Nationalcharakters werden dann in einer Darstellung der französischen Geschichte genauer ausgeführt, die bis zum Vorabend des Weltkrieges geht, in sieben Abschnitte gegliedert ist und jede dieser Perioden nach ihrer politischen, sozialen und literarisch-künstlerischen Seite behandelt. Vom Standpunkt der Schule betrachtet ist das Buch sprachlich nicht leicht, auch setzt es mit seinem grossen Bestand an wissenschaftlichen Allgemeinbegriffen bereits eine fortgeschrittene historische und literarische Schulung voraus, aber weder sprachlich noch inhaltlich überschreitet es die Grenzen dessen, was eine tüchtige Klasse während der letzten beiden Schuljahre zu leisten vermöchte. In der Gliederung und Auswahl des Stoffes zeigt es vielfach Ueber- | |
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einstimmung mit deutschen Lehrbüchern der Geschichte, daran scheint also der deutsche Mitarbeiter stark beteiligt zu sein, während die historische Auffassung als solche durchaus französisch ist. Für einen deutschen Leser mit der entsprechenden Vorbildung bietet es also den doppelten Vorteil, dass er sich leichter hineinfindet als in ein rein französisches Werk und dennoch unmittelbar erfährt, wie der Franzose selbst die Geschichte seines Volkes auffasst, verbunden mit allen Gefühlstönen, die dabei anklingen. Deshalb ist es, obwohl nicht für die besonderen Zwecke der Schule geschrieben, doch für den neusprachlichen Unterricht von allgemeiner Bedeutung. In seinem Buch ‘Die englische Dichtung in der Schule’ behandelt Walter Hübner ein wichtiges Teilgebiet aus der Didaktik des fremdsprachlichen Unterrichts, die Deutung von Dichtwerken, und zwar gibt er zunächst eine Darstellung der hermeneutischen Grundfragen im allgemeinen, um dann an der englischen Literatur von Shakespeare und Milton bis zu Swinburne und Meredith zu zeigen, wie sich seine Theorie in der Praxis auswirkt; seine Schrift trägt den Untertitel ‘Grundzüge einer Interpretationslehre’.Ga naar voetnoot1) Die allgemeine Auffassung über die Art, wie eine Kultur überhaupt verstanden wird, ist die von der deutschen Kulturphilosophie im Verlauf des 19. Jahrhunderts herausgearbeitete, also in den Grundzügen dieselbe, die wir bei Eduard Schön finden. Es ist die gleiche, die auch der Interpretation einer Dichtung in der Muttersprache zugrunde zu legen wäre. Diejenige einer Dichtung in einer fremden Sprache unterscheidet sich von ihr aber durch die Fremdheit der Sprache und der allgemeinen historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, die zu ihrem Verständnis gehören. Die Hindernisse, die uns die fremde Sprache entgegenstellt, zwingen uns zu einem langsameren Tempo und zur Beschränkung auf eine kleinere Anzahl von Werken, als uns die Muttersprache durchzuarbeiten erlaubt. Aber bei der gründlichen Beschäftigung mit der fremden Sprachform, die uns nicht erspart bleibt, dringen wir auch schon in die besonderen nationalen Voraussetzungen der Dichtung ein, diese Arbeit dient also auch dem sachlichen Verständnis des Werkes. Trotzdem müssen wir auf eine Form der Interpretation bedacht sein, die uns rasch in den Kern der | |
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Dichtung führt, so dass wir sie als ein Ganzes erfassen, ohne unsre Kraft und vor allem die der jugendlichen Leser an der Gesamtheit aller ihrer einzelnen Teile zu erschöpfen. Ist die Zentralidee des Werkes einmal erfasst, wenn auch zunächst nur in allgemeinen Umrissen, so wird sie an einzelnen Teilen der Dichtung mit Hilfe einer analysierenden Interpretation nachgeprüft und dabei selbst genauer verstanden.Ga naar voetnoot1) Wie das in jedem Falle zu machen ist, hängt von den besonderen Umständen ab. Bei Shakespeares ‘Julius Cäsar’ z. B. schlägt Hübner vor, zunächst die Szene auf dem Forum und die grosse Auseinandersetzung zwischen Brutus und Cassius, mit dem nachfolgenden Erscheinen von Cäsars Geist (IV 3), genau zu interpretieren und von da aus, in rascherer Lektüre, sich mit den übrigen Teilen des Dramas zu beschäftigen.Ga naar voetnoot2) Die Wichtigkeit der Schlüsselszenen hebt Hübner auch bei den anderen Werken Shakespeares hervor, von denen er eine grosse Zahl interpretiert, in jedem Falle verlangt er jedoch zuerst eine kursorische Kenntnisnahme des Ganzen, um den Gang der Handlung kennen zu lernen.Ga naar voetnoot3) Den Weg zur Erfüllung dieser Vorbedingung für ein tieferes Eindringen zeigt er bei Miltons ‘Paradise Lost’ genauer, indem er durch die einzelnen Bücher hindurch die Stellen benennt, die zu diesem Zweck gelesen werden sollen; die Zentralidee des Werkes wird dann durch eine eingehende Analyse des IX. Buches herausgearbeitet, in dem der Sündenfall erzählt wird.Ga naar voetnoot4) Neben der Lyrik wird, wegen der Abgeschlossenheit der Form und des Reichtums an Beziehungen, besonders der Essay empfohlen.Ga naar voetnoot5) Entscheidend ist in jedem Falle, dass ein Verhältnis produktiver Spannung zwischen dem Geist des jugendlichen Schülers und dem literarischen Werk entsteht. Bei dem Schüler wird dabei ein allgemeines Bedürfnis nach neuen Erfahrungen und erschütternden Erlebnissen vorausgesetzt, vor allem eine seinem Lebensalter entsprechende Empfänglichkeit für das Heroische, während sich der grosse Gegenstand dieses Unterrichts, die englische Dichtung und daneben der Essay, von verschiedenen Seiten darbietet. In der grossen Zahl von | |
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Interpretationen, die vor allem den Wert des Buches ausmachen, werden hauptsächlich folgende Möglichkeiten, das Interesse zu wecken, gezeigt: Das allgemeine Verhältnis des Menschen zu seinem Schicksal, zur Natur, zur Geschichte, der Nationalcharakter der Engländer und ihr Werdegang an sich, dies beides im Vergleich mit dem der Deutschen, die grossen Abschnitte in der europäischen Literatur und Philosophie, die Lebensgeschichte bedeutender Einzelner.Ga naar voetnoot1)
Anmerkung: Ergänzend nenne ich noch die Jenaer philosophische Dissertation ‘Zum heutigen Stand des Fremdsprachenunterrichts in Deutschland’ von Ramòn Almendras, Santiago 1933, zur Einführung in die Fragestellungen und den Bestand an didaktischer Literatur, und die Tübinger philosophische Dissertation a.d. J. 1933 ‘Sprache und Geist’ von Emil Wezel, verlegt bei Meiner i. Leipzig. Die Arbeit von Wezel trägt den Untertitel: ‘Der Zusammenhang von Spracherziehung und Geistesbildung im Spiegel der Philosophie der Gegenwart’. Sie setzt sich gründlich mit der bisherigen Entwicklung der Sprachphilosophie auseinander und führt sie in eigener Gedankenbildung weiter. Aber Wezels sehr abstrakte Formulierungen zu charakterisieren und die Frage zu prüfen, welche Bedeutung sie für die Didaktik der lebenden Sprachen haben, ist eine Aufgabe, die sich im Rahmen dieser Uebersicht nicht erfüllen lässt. H. DEITERS. |
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