Levende Talen. Jaargang 1937
(1937)– [tijdschrift] Levende Talen–
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Calderon: ‘La vida es sueño’ als grundlage für Hofmannsthal: ‘Der Turm’ und Wilhelm von Scholz: ‘Das Leben ein Traum’Ga naar voetnoot1).Pedro Calderón de la Barca lebte 1600-1681 und war der grosze Dramaturg des spanischen Barockdramas, ein Freund des Königs, Philipps IV., jüngerer Zeitgenosse des andern spanischen Theaterdichters Lope de Vega und des Malers Velasquez. Mit letzterem arbeitete er zusammen. Er war Soldat in den Niederlanden, daneben erfolgreicher Autor und schon 1635 Leiter des Hoftheaters von Buen Retiro. Der König hat ihn zum Santiago-Ritter gemacht. Später wurde er Priester, aber als Kaplan von Toledo, endlich Hofkaplan blieb er Theaterdirektor und dramatischer Autor des Königs. Schon 1630 hat Lope de Vega erkannt, dasz Calderon den höchsten Gipfel des poetischen Stiles erreicht habe. Dieses Lob galt namentlich den Freilichtund Wasseraufführungen, die in Fackelbeleuchtung zauberhaft ausgesehen haben sollen. Ganz im Gegensatz zu der einfachen unbeweglichen Bühne Skakespeares, wo das Wort und die Phantasie Hauptsache waren, wurde auf diesem spanischen Barocktheater alles wirklich dargestellt und war das Wort nur Hilfsmittel. Dabei sind die Figuren doch sehr fein charakterisiert und wir hören eine hohe dichterische Sprache. Auch schrieb Calderon durchaus nicht nur für das Hoftheater, die grosze technische Anlage war nicht unbedingtes Erfordernis. Calderon hat in seinem Jahrhundert Bedeutung gehabt für die niederländische Bühne. G. Kalff schreibt 1910 in seiner: ‘Geschiedenis der Ned. Letterkunde’ V.S. 73/74 ‘Ook het werk van Lope's grooten mededinger Calderon was hier te lande niet onbekend: zijn beroemd stuk La vida es sueño verscheen 1647 in Nederlandsche vertaling onder den titel: Sigismundus, prince van Poolen, of 't leven is een droom; ook andere stukken van Calderon werden te onzent vertaald en gespeeld’. Unter den aufgeführten Werken finden wir denn auch bei C.N. Wijbrands, 1873 ‘Het Amsterdamsche Tooneel 1617-1772’ S. 260: 18 Mei 1654 ‘De groote Sigismundus’, und in der ‘Geschiedenis der Ned. Letterkunde’ door Dr. W.J.A. Jonckbloet, IV, S. 392-393 | |
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lesen wir: 1654 ‘Het Leven is maar droom’, naar Calderon, door Schouwenbergh, gedrukt in 1647, 54, 62, 68; 1705, 38, 67. Und zwischen Klammern fügt er die interessante Bemerkung hinzu: Reeds Rodenburg's Sigismund en Manuella behandelt vóór Calderon hetzelfde onderwerp. In Deutschland und Österreich scheint die Beschäftigung mit Calderon tiefer und dauerhafter. Neben andern Dichtern hat Goethe auch Calderon für die deutsche Bühne gewonnen. In Weimar spielt er u.a.: Der standhafte Prinz; das Leben ein Traum; Zenobia. Um 1800 wurden an dem kleinen aber verdienstvollen Bamberg-Würzburgischen Theater Bearbeitungen nach Calderon gespielt. In Österreich hatte Franz Grillparzer eine romantische Vorliebe für Calderon. Die innige Beschäftigung mit dem Spanier wird wohl das fruchtbarste der vielseitigen Tätigkeit des Dichters genannt. Heinrich Laube, der 17 Jahre, 1849-66, artistischer Direktor des Burgtheaters war, stellte das Repertoire vollkommen auf Calderon, Shakespeare, Schiller. Schlieszlich hat Max Rheinhardt, der auch in seiner Leistung und seinem gesellschaftlichen Aufstieg mit Calderon verglichen wird, das ‘Salzburger Grosze Welttheater’ auf dem Gerüst der Rappresentazione in der Salzburger Kollegienkirche aufgeführt. ‘La Vida es Sueño’, das Leben ist Traum, nennt Calderon eine Comedia en tres Jornadas, eine Komödie in drei Akten. Die Szene ist abwechselnd am polnischen Hofe und in einer Fortaleza mit einem Turm. Das Stück hat 7 benannte Personen: Basilio, König von Polen; Segismundo, dessen Sohn; Astolfo, Herzog von Moskau, Neffe des Königs; Clotaldo, ein Groszer des Reichs, Sigismunds Aufseher; Estrella, Nichte des Königs; Rosaura; Clarin, Rosaurens Diener. Es wird gesprochen in vierfüszigen gereimten Trochäen. Nach der Art des Barockdramas halten die Personen oft lange Reden, Rosaura, spricht einmal 228 Verse, sie wird noch überboten durch den König, der es zu 255 bringt. Im ersten Akt kommt Rosaura in männlicher Kleidung, begleitet von ihrem närrischen Diener, gegen Abend an den Turm. Gleich zu Anfang spricht sie es aus, dasz sie unterwegs ist, um ihren treulosen Liebhaber am polnischen Hofe zu suchen und sich an ihm für ihre verletzte Ehre zu rächen. Jetzt haben sie sich im Gebirge verirrt. Im Turm erblicken sie einen gefesselten Gefangenen. Es ist Sigismund. Er wuchs im Kerker auf und weisz nicht warum. Er meint, er wäre gefährlich, | |
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er fühlt sich auch ein ganz anderes Wesen als seine Wärter. Dann klagt er. Rosaura ist von Mitleid ergriffen, diesem Leide gegenüber ist ihr eigenes nur gering. Zunächst ist Sigismund empört wegen dieses Mitleids, dann schämt er sich. Gerade als Rosaura anfangen will, über sich zu erzählen, kommt Clotald mit der Wache. Die Eindringlinge werden verhaftet, wobei sich das ungebärdige Wesen Sigismunds zeigt. Wenn sie entwaffnet werden, will Rosaura ihr Schwert mit goldenem Griff nur Clotald anvertrauen. Ihre Mutter hat es ihr beim Abschied gegeben, einer der edelsten Polen kennt die Waffe und wird Rosaura schützen, sobald er das Schwert erkennt. Clotald ist sehr ergriffen, es wird ihm deutlich, dasz sein Kind vor ihm steht. Zunächst hat er es vom Tode zu retten, denn Rosaura hat unbewuszt das Gesetz verletzt, das bei Todesstrafe den Zutritt zum Turme verbietet. Die fünfte Szene spielt im königlichen Palast. Estrella und Astolf begegnen sich. Beide erheben Anspruch auf den Thron des alternden Oheims, zugleich wirbt er um die Hand Estrellas, beide sollen herrschen. Sie widerstrebt nicht, nur trägt er das Bild einer andern Frau am Halse. Er will alles erklären, da naht der König. In einer langen Rede berichtet Basilius von sich selber. Um immer ein weiser Fürst zu sein, hat er sich seit langer Zeit der Astrologie zugewandt, die uns des Lebens Irrsal im Lauf der ewigen Sterne verstehen lehrt. Bei der Geburt Sigismunds zeigten sich ungeheure Wunderzeichen am Himmel. Der Tod der Königin wurde vorausgesagt und er traf ein. Sigismund sollte der schrecklichste Fürst werden und das Reich durch ihn der Schauplatz furchtbarer Greuel, den Fusz sollte er einst auf das Haupt des besiegten Vaters setzen. Da hat Basilius den Knaben einsperren, von Clotald bewachen und unterrichten lassen. Die Nachricht wurde verbreitet, dasz das Kind tot geboren sei. Jetzt sind dem König schwere Zweifel gekommen, ob er nicht, Tyrannei fürchtend, selber zum Tyrannen geworden sei, ob er den Zeichen nich zuviel vertraut. Denn wie die Gelüste, können die Sterne zwar den Willen lenken, doch ihn nicht bezwingen. Also hat er folgendes Mittel ersonnen, die Sterne zu prüfen: Einen Tag soll Sigismund König sein. Zeigt er sich gerecht und milde, so soll er König bleiben. Wo nicht, so sollen Estrella und Astolf das Herrscherpaar sein. In der achten Szene wird Rosaura begnadet, weil das Geheimnis des Turmes nun doch preisgegeben wurde. Dann berichtet sie | |
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Clotald von ihrer Verkleidung und er muss erfahren, dasz sie sich an dem mächtigen Astolf zu rächen hat. Im zweiten Akt erzählt Clotald von den hohen und ernsten Gesprächen, die er mit Sigismund geführt hat, bevor er ihm den Schlummertrunk reichte, wodurch der Prinz schlafend an seinen hohen Posten geführt werden soll. Basilius ordnet an, er möge nach dem Erwachen glauben, diesen Herrschertag träume er nur, womit er auch recht habe, denn tatsächlich sei das ganze Leben selbst nur Traum. Erstaunend erwacht Sigismund. Clotald erzählt ihm die ganze Wahrheit und spricht die Hoffnung aus, dasz seine Weisheit die Strenge des Geschickes zu besiegen wisse. Sigismund aber ist rasend vor Wut. Dann wirft Clotald ihm entgegen, dasz er nur träumt. Bald gerät aber der heftige Prinz in einen Streit mit Astolf, in Liebe für Estrella und einen Kammerherrn schmeiszt er aus dem Fenster ins Meer. Sogar den Vater empört er, auch dieser macht Anspielung auf seinen Traumzustand. Sigismund fängt an zu zweifeln. Dan erblickt er Rosaura, jetzt in Frauenkleidern, und verliebt sich in sie. Clotald will sie schützen vor dem ungebärdigen Prinzen, er erinnert Sigismund wieder an den Traum, fast wird er getötet, Astolf greift ein, der König erscheint, erfährt alles und befindet Sigismund unwürdig. In der elften Szene sprechen Estrella und Astolf noch über das Damenbild im Medaillon, das dieser trug. Er soll es ihr bringen und holt es. Rosaura tritt ein, sie bekommt von Estrella, deren Dienerin sie hier am Hofe geworden ist, den Auftrag, das Bild in Empfang zu nehmen. Astolf gibt es ihr aber nicht, sie soll selber hingehen und sich als das Original zeigen. Beide suchen sich des Bildes zu bemächtigen, Estrella tritt ein, Rosaura meldet, der Prinz habe ihr, Rosauras, Bild in Händen und wolle es ihr nicht zurückgeben. Das stimmt natürlich, aber Estrella musz es schon falsch verstehen und mag jetzt das Bild und auch Astolf nicht mehr. Die achtzehnte Szene bringt das Erwachen im Turme des wieder gefesselten Sigismund. Ach der König ist dabei, er hat doch keine Ruhe mehr. Clotald führt mit Sigismund ein sehr ernstes und kluges Gespräch, der Prinz ist ganz besänftigt und kommt zu der hohen Einsicht, dasz alles Leben nur ein Traum ist, was alle sind, das träumen alle nur und selbst die Träume sind ein Traum. Im dritten Akt wird darin, den man auch eingesperrt hatte, von Aufrührern befreit, dann Sigismund zum Herrscher aus- | |
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gerufen. Das Volk will keinen Fremden sondern nur den angestammten Prinzen zum König. Zunächst lehnt Sigismund ab, er weisz, dasz auch dieses wieder ein Traum sein wird. Bald aber will er doch noch einmal den Herrschertraum, mit Bedacht und Vorsicht jetzt, wäre es auch nur um seinen Vater zu besiegen und damit die Wahrheit des Himmels darzutun. Bei der Begegnung mit Clotald ist er jetzt klug und gütig, er läszt ihn sogar unbehindert zum Basilius gehen, weil Clotald doch dem alten König dienen möchte. Recht musz ich handeln, wenn ich auch nur träume, ist sein Leitgedanke. In der achten Szene verlangt Rosaura von Clotald die Erfüllung der ihr versprochenen Rache an Astolf. Das ist ihm unmöglich geworden, weil Astolf ihm das Leben gerettet hat. Er gibt ihr den Rat, sich in ein Kloster zurückzuziehen, sie zieht es vor, sich an Sigismunds Seite in den Kampf zu werfen. Dann rüsten auch Astolf und Estrella sich. In der zehnten Szene kommt Rosaura zu Sigismund, in einer langen Rede erzählt sie him von ihrer Schmach und sie bittet ihn, ihr Rächer zu sein. Wieder entflammt seine Liebe zu ihr, er beherrscht sich aber und wird ihr ihre Ehre erkämpfen. In der vorletzten Szene wird Clarin, der sich versteekt hatte, von einer verirrten Kugel getötet. Seine letzten Worte, ‘ihr geht in den Tod, wenn Gott will, dasz ihr sterben sollt’, machen groszen Eindruck auf den König, dessen Truppen auch unterliegen. In der letzten Szene unterwirft er sich dem siegenden Sohne. Sigismund hat damit die Wahrhaftigkeit des Himmels und der Sterne bewiesen, sein weiteres Schicksal erwartet er nun vom Vater und dieser verleiht ihm die Königswürde. Der neue König gibt Rosaura ihre Ehre zurück, indem er sie und Astolf wieder zusammenbringt. Clotald erklärt sich als ihr Vater, dadurch ist sie dem Astolf ebenbürtig und steht der Verbindung nichts mehr im Wege. Estrella wird entschädigt, indem sie Sigismunds Gemahlin wird. Clotald wird hoher Ratgeber, der Anführer der Soldaten, der Sigismund befreit hat, bekommt den Turm als Geschenk, lebenslänglich wird er eingesperrt, man preist den jungen König, der jedes Lob zurückweist, ein Traum hat ihn gelehrt, dasz alles Leben hinschwindet wie ein Traum. Er ist und handelt jetzt als alle andern: unmittelbar von Gott haben sie ihre Rolle für das Leben erhalten, sie spielen sie ernst und gut. Das verbindet alle Figuren: Clarin, der närrische Diener, spricht die Worte, die der König Basilius wiederholt und als | |
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grosze Lehre hinnimmt. Auch bei den Frauen tritt diese Haltung zum Vorschein. Groszem Schicksalswechsel sind sie ausgesetzt, wenige Worte im Stück genügen, dieses darzustellen, wie selbstverständlich sind sie ihm in ruhiger Überlegenheit gewachsen. So steht in festlicher Sachlichkeit dieses Barockspiel vor uns. Unberührt von psychologischer Zergliederung feinnerviger Seelen, die der Zerfaserung hinneigen, steht es da in ungebroner Monumentalität. 1925 Erscheint von Hugo von Hofmannsthal ein Trauerspiel in fünf Aufzügen: ‘Der Turm’. Die Zahl der einzelnen Personen ist von 7 auf 20 gebracht. Die Nebenfiguren, bei Calderon noch einfach: Soldados-Guardas-Músicos-Acompañamiento-Criados-Damas, also fast durchweg in ihrer Funktion und als Gruppe angegeben, heiszen jetzt stark differenziert: Herren vom Hof, Kämmerer, Pagen, ein Kastellan, ein Stallmeister, Soldaten, ein Stelzbeiniger, eine alte Frau, ein Pförtner, ein Bettler, Mönche, Aufrührer, Feldhauptleute, Knaben. Die Sprache ist Prosa. Das Stück fängt an vor dem Turm. Die Wache, ein unheimlich-malerischer Lanzknechtenhaufe, unterhält sich in derber Soldatensprache über ihre Aufgabe und die manchen Vorzeichen, die Groszes künden. Zwei neue Figuren erscheinen: der Diener Anton, der dem gefangenen Sigismund immer das Essen bringt, und der Arzt. Vom Anton hören wir, dasz der Prinz manches gelernt hat, bis zum vierzehnten Jahre bei guten Bauern war und seit vier Jahren eingesperrt ist. Der Arzt stellt fest: ‘Die Grenze ist verwirrt zwischen innen und auszen’. Im folgenden Gespräch mit Julian, dem Gouverneur des Turmes, spricht er hellseherisch - denn er kennt den Gefangenen nicht - ‘Hier wird, woferne Gott nicht Einhalt tut, die Majestät gemordet. An der Stelle, wo dieses Leben aus den Wurzeln gerissen wird, entsteht ein Wirbel, der uns alle mit sich reiszt.’ Im Gegensatz zu Calderon fehlen die langen Berichte, Rede und Gegenrede sind kurz und gehen oft ins Allgemeine. Aus einem Brief, den der getaufte Jude Simon bringt, erfährt Julian, dasz des Königs Neffe (bei Calderon Astolfo) auf der Jagd gestorben ist. Auszerdem ist der Groszalmosenier, seit dreiszig Jahren sein allgewaltiger Berater, ohne Abschied ins Kloster gegangen. Damit ist der König ganz allein, denn in diesem Stück fehlen Estrella und Rosaura. Der Jude berichtet von Krieg und Revolution. Wieder folgt ein langes Gespräch mit dem Arzt, der | |
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für den verwahrlosten Gefangenen anordnet, man soll ihn in seines Vaters Haus zurückführen, dann die Welt auf seine Schultern laden, er werde sie tragen. Julian macht Anspielung auf die Sterndeutung. In manchmal biblischer Sprache betont der Arzt den groszen Zusammenhang: es hängt alles an einer Kette. Unter dem Druck seiner Androhungen entsteht dem Julian ein Gedanke. Er weisz, dasz er dem König ein Berater wird sein müssen. Er will die Probe machen: Sigismund als König. Vom Arzt verlangt er den Schlaftrunk, der die Herrscherprobe als Wahnspiegelung des Hirns erscheinen läszt. Der zweite Aufzug bringt die groszartige Szene, wo Basilius und sein Groszalmosenier, der bei Calderon fehlt, einander gegenüber stehen. Der König ist traurig, er denkt an schöne, vergangene Zeiten und an sein wankendes Glück in der Jetztzeit, böse Prophezeiungen treffen ein: Hunger, Seuche, Revolution. Aber noch mehr wurde prophezeit, dasz sein rechtmäsziger Sohn, sein einziges Kind, die Fahne der Revolution ‘das ist ein Bündel klirrender, zerrissener Ketten an einer blutigen Stange’, vorantragen wird. Als Beispiel für die grellere Wortgebung bei Hofmannsthal diene folgendes aus der Prophezeiung: bei Calderon wird der Sohn den Fusz auf den Vater setzen, dieser wird sich, besiegt von dem Sohne, knieen sehen, mit den Haaren seines Hauptes dem Sieger zum Teppich für die Füsze dienend. Bei Hofmannsthal: ‘und er ruht nicht, bis er mich findet und seinen Fusz auf mein Genick setzt. Ich höre meinen Kopf, der auf die Erde aufschlägt! und er tritt auf mein Gesicht und drückt mich hinein, bis ich Erde fresse und die Erde mich friszt.’ Endlich kommt der Groszalmosenier, ein neunzigjähriger Greis. Der Auftritt ist vernichtend für den König. Zunächst wird vor ihm ein Bettler begrüszt, dann musz er lange warten, während dem alten Mönche aus dem Guevara vorgelesen wird und ein Chor vom Untergang Babylons singt. Zuletzt erfolgt doch das Gespräch mit seiner ganzen Erniedrigung. Der Groszalmosenier flucht dem König wegen dessen Sünde am Sohne und dadurch an der heiligen Ehe. Vollkommen ist es wie bei Calderon ein Spiel auf der Weltbühne, aber von drohender Gewalt, indem er sagt: ‘Es entflieht keiner der groszen Zeremonie, der König aber und der Vater ist in die Mitte gesetzt.’ Der verzweifelte Basilius bekommt keinen Rat. Die weltlichen Herren scheinen treuer zu sein. Julian tritt ein und entfaltet seinen Plan einer Prüfung Sigismunds. Der zweite | |
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Auftritt ist im Turm. Hier begegnen wir zuerst dem fast zweiund zwanzigjährigen Sigismund, im Gespräch mit Anton und der Bäuerin, seiner früheren Pflegemutter. Bei Hofmannsthal ist er zu einer rührenden, erschütternden Gestalt geworden. Wie der Arzt sagt er von sich: ‘Ich bring's nicht auseinander, mich und das andere. Es wächst mit mir zusammen.’ Er ist sanft. Auch albern ist er, aber es ist die Albernheit eines Parzival. In einer groszen Szene mit Julian wird dargestellt, wie dem ängstliehen Knaben der Trunk aufgedrängt wird, der ihn ins andere Leben hinüberführen soll. Der dritte Aufzug bringt die Prüfung. Mit groszer Zeremonie und Pünktlichkeit wird alles am Hofe vorbereitet. Bemerkenswert ist dieses Zeremoniell. Bei Calderon war das alles wohl Sitte und Brauch, es wird wenig darüber ausgesagt. Hier musz es in seitenlangen Bühnenweisungen einem entfremdeten Publikum nähergebracht werden. Auch hier bereitet der Gouverneur des Turmes, Julian, den Prinzen vor, dann tritt der König ein. Sigismund ist entgeistert, dann fängt der König an zu reden und es enthüllt sich seine ganze Verdorbenheit, seine Falschheit und sein maszloser Hochmut. Sigismund schlägt ihn ins Gesicht und zwingt ihn nieder. Von den Höflingen wird er aber überwältigt. Basilius glaubt, die Prophezeiung wäre jetzt eingetroffen, er könne Sigismund töten lassen. Der Beichtiger weisz es so zu lenken, dasz der Prinz am Leben bleibt, ebenso Julian, der sich zu ihm gestellt hatte. Der betäubte Sigismund wird abgeführt, alles scheint verloren, nur der Arzt bleibt bei seinem unerschütterlichen Glauben. Der vierte Aufzug. Julian hat den Aufruhr aufgestachelt, den Namen Sigismunds hat er zum Feldgeschrei der Aufrührer gemacht. Aber seinen verwegenen Plänen wirft Sigismund ein Wort entgegen: ‘Träume’. Hier klafft ein groszer Unterschied mit Calderon. Was in einem tatenfrohen Jahrhundert selbstverständlich war, nämlich dasz das Wissen um den Traum Sigismunds Tatendrang nicht beeinträchtigste, sodasz er zum zweiten Male den Herrschertraum wollte, einem gedankenvollen, zartnervigen Zeitalter war es eine Unmöglichkeit. Diesem Problem, diesem Verhängnis vom Bruch zwischen Geist und Tat scheint der ganze vierte Akt gewidmet werden zu müssen. Sigismund sagt: ‘Eitel ist alles auszer der Rede zwischen Geist und Geist.’ Demgegenüber Julian: ‘Jetzt aber ist Herrschaft vor dir hingebreitet, Allmacht greifbar - Wirklichkeit, goldene!’ | |
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Dann Sigismund: ‘Aber mein Geist schwebt höher.’ Drauszen aber geht die Revolution weiter, die Aufrührer dringen in den Kerker, sogar Julian ist von den eigenen Rebellen verwundet worden, er stirbt mit dem Worte ‘Nichts’. Dann, beim Anblick der armen Menschen, scheint doch etwas in Sigismund zu erwachen. Olivier, einen wüsten, trinkenden Anführer des Auf-Standes, läszt er rasen und abziehen, ein anderer Betrunkener wird beiseite geschoben, dann ist er allein mit dem Volke, sie nennen ihn den Armeleute-König. Er zieht weg mit ihnen und ‘Dort, wo wir hingehen, wird gehorsamt, ehe befohlen war, und gemäht ohne Hoffnung aufs Nachtmahl.’ Einer, Indrik der Schmied, wird sein Vormäher. Damit ist der Akt zu Ende und die Handlung kann wieder an Calderon anknüpfen. Haben nun diese 34 Seiten nur gedient um eine Brücke zu bauen, wurde dieser ganze Kraftaufwand gebraucht um einen introvertierten modernen Menschen zur Tat zu bringen? Um dieses zu beantworten müssen wir uns vergegenwärtigen, dasz wir bei Calderon gelesen haben, wie am Ende des Stückes der Anführer der Aufrührer, eines groszen Lohnes gewärtig, den Turm zum lebenslänglichen Gefängnis bekam. Er hatte ja die zwar irdische, aber heilige, weil gottgegebene Weltordnung zu durchbrechen gesucht, da muszte er zerschmettert werden. Hier ist es anders bestellt um die Ordnung. Wir haben schon bemerkt, dasz dieser Basilius ganz anders ist als der menschlich irrende, aber würdige König im spanischen Stücke. Die heilige Weltordnung ist schon da, aber sie liegt nicht mehr in den armseligen Menschenhänden. Bei Calderon wurde unbewuszt gefehlt, hier bewuszt. Aber dann entsteht nur eine Scheinordnung und damit hat die Revolution ihr Recht bekommen. An dieser Tatsache ändert der Tod Julians nichts. Er war nur Werkzeug und durch sein selbstisches Handeln unwürdiges Werkzeug. Sein Werk wird von Sigismund in diesem Aufzug immer wieder als gut und gerecht anerkannt Sein Untergang betont eher die Hoheit des Werkes, das er nicht vollenden durfte, der gerechten Revolution. So erfüllte dieser Akt die in moderner Zeit notwendige Aufgabe, neben dem statischen Charakter der Weltordnung die Dynamik ihrer Erscheinung zu betonen. Im fünften Akt ist Sigismund König, die Sprache der Welt hat er gelernt. Er ist dabei, den Aufruhr Oliviers niederzu- | |
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werfen, Basilius ist längst tot. Die Handlung bekommt einen stark symbolischen Charakter. Sigismund ist nicht mehr das reine Werkzeug der ordnenden Weltmacht, um ihn und mit ihm sind auch Personen, die sich aus Klugheit und Berechnung ihm zugesellt haben. Eine neue Figur erscheint, der Kinderkönig, er hat eine abgesonderte Menschengruppe unter sich mit vielen Kindern dabei. Es wird von ihnen berichtet: ‘Sie haben besondere Rechte und Bräuche und über sich einen gewählten König, der ein starker und schöner Bursch sein soll und aus den Augen schauen wie ein junger Löwe. Sie pflügen und leben wieder wie die Menschen vordem. Sie verrichten Handwerk und singen dazu.’ Sigismund beurteilt diese Erscheinung als ein schlauer, kriegführender, weltlicher König. Vom Kinderkönig erzählt man, er wäre auch ein Sohn des Basilius, von einem schönen wilden Weib. Sigismund hat Todesahnungen, er liest Mark Aurel, von dem er sagt: ‘auch er den Umständen unterworfen und stirbt im Geelt.’ Es folgt eine grausige Szene zwischen ihm und einer gefangenen Zigeunerin und man weisz nicht, wer von beiden der gröszere Zauberer ist, wer mächtiger im Heraufbeschwören von allerhand Schreckensgestalten. Es wird ein gräszlicher Auftritt, den Sigismund siegend besteht, die Zigeunerin hat ihn aber mit einem scharfen Messer vergiftet. Dennoch kann er seine Aufgabe vollenden. Olivier ist gefallen, zugleich kommen die Bannerherren und huldigen Sigismund, der die Worte spricht, deren Sinn aus dem schon Erwähnten deutlich ist: ‘Ich nehme mir heraus, dasz ich beides in diesem Dasein vereine: zu ordnen und aus der Ordnung herauszutreten’, anders gesagt: ‘ihr glaubt, euer Geschick lasse sich noch eingrenzen wie ein Bauerngut durch eine Hürde: aber dem ist nicht so denn die Welt will sich erneuern, und wenn die Berge sich gegeneinander bewegen, achten sie nicht eines alten Kirchturms in ihrer Flanke.’ Den Schlusz bildet die rührende Szene zwischen dem sterbenden Sigismund und dem Kinderkönig, der spricht: ‘Du sollst mir Schwert und Waage geben: denn du bist nur ein Zwischenkönig gewesen. - Wir haben Hütten gebaut und halten Feuer auf der Esse und schmieden die Schwerter zu Pflugscharen um. Wir heben neue Gesetze gegeben, denn die Gesetze müssen immer von den Jungen kommen.’ Dann stirbt Sigismund, es war für ihn kein Platz in der Zeit. Das Recht der Revolution einer morschen weltlichen Ordnung gegenüber hatte er bewiesen, einer | |
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ewigen Ordnung gegenüber durfte der Aufrührer nicht zum Herrscher werden, als Zwischenkönig hat er seine Aufgabe erfüllt. Damit endet das Stück. Im Gegensatz zu Calderon, wo die Weltbühne ein gottgegebenes, von Zeit und Umwelt verwirklichtes Erleben war, ist diese Schau bei Hofmannsthal erkämpft. Bei Calderon war das Stück in seinem harmonischen Ernst eine selbstverständliche Sache, Ausdruck einer Zeit, mehr noch, eines gemeinsamen Glaubens. Hofmannsthal hat alles allein erkämpfen müssen, denn seine Zeit konnte eine solche Schau doch nur als ‘Traum’, als Flucht sogar, sehen. So lassen sich aus der Zeit die beim ersten Blick groszen Unterschiede verstehen. Zunächst die Vereinfachung: wie schon bemerkt wurde, fehlen Astolfo, Estrella, Rosaura, die ganze Prüfung Sigismunds besteht aus dem einzigen kleinen Auftritt mit dem König. Die ganze Vereinfachung läszt sich aber wohl begreiflich machen als eine praktische Folge der Treue Hofmannsthals und der Ehrfurcht, dem Gehalt des ursprünglichen Stückes gegenüber. Denn dieser Gehalt sollte bestehen bleiben in dem neuen Stück, dieselbe Gesinnung sollte zum Ausdruck kommen, wie sie auch lebte in diesem österreichischen Dichter, die Gesinnung, der Geist der gerechten Ordnung. Aber die Welt, in der Calderon lebte, der er Saft und Kraft und Bausteine entnehmen konnte soviel er wollte, diese Welt war jetzt zusammengebrochen, gerade an dem einzigen Orte, wo sie nach der Meinung des Dichters noch hätte bestehen können, in der österreichischen Heimat. So muszte alles, was bei Calderon als selbstverständlich vorhanden war und von auszen her das Stück trug, hier von neuem geschaffen werden. Dazu dienen die neuen Gestalten, denn handgreiflich musz das Neue sein, damit, wie Hofmannsthal einmal an Richard Strausz schreibt, das Publikum damit wie mit dem Spielzug nach Kinderart in den Mund fahren kann. Dieses Neue nun ist, vielleicht nur typisch für H., wahrscheinlich aber Äuszerung eines typischen Barockdichters, antithetisch. So die Darstellung der Kirche, der kirchlichen Gewalt, bei Calderon überflüssig, hier neben dem gewaltigen Groszalmosenier der schmiegsame Beichtiger. So auch die neue Figur des Arztes neben dem zweideutigen Julian und vor allem Sigismund neben Olivier als dem ungerechten Aufrührer. Indem auf diese Weise immer wieder das Wort Gestalt werden muszte erhielt das Stück eine unerhörte Bereicherung an Inhalt, an Darstellung, an Stofffülle. | |
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Und dadurch wurde die vorhin erwähnte Vereinfachung schon bedingt. So vermochte Hofmannsthal es, is einer groszen, von der modernen Zeit veranlaszten, aber groszartig durchgeführten Erweiterung, dem Geiste des alten Stückes treu zu bleiben. Es ist etwas Tragisches um dieses Werk Hofmannsthals; 1925 war es fertig, wurde kaum verstanden, dann hat der Dichter umgearbeitet, vereinfacht. Die neue Fassung war unbefriedigend und so blieb es bei der alten, groszen. Schon wenige Jahre später erschien eine neue Bearbeitung des Calderonschen Werkes ‘Das Leben ein Traum’, Schauspiel in neun Bildern, Freie Neudichtung nach Calderon von Wilhelm von Scholz. Das neue Stück hat wieder die Versform, fünffüszige gereimte Jamben, wie bei Hofmannsthal ist die Sprache ein knapper Dialog. Die benannten Personen sind genau dieselben wie bei Calderon und fast dasselbe kann man sagen von der Handlung. Ein bemerkenswerter Zug findet sich am Ende des ersten Bildes. Rosaura will ihr Schwert nur einem edlen Menschen überreichen. Clotald erblickt die Waffe und dann spricht er bei Calderon zwei Seiten hintereinander und berichtet die ganze Geschichte vom Schwerte und die sämtlichen 75 Verszeilen natürlich ‘aparte’, für sich. Das ist typisch Barock, wo alles dargestellt wird und womöglich nichts der Phantasie der Höher anvertraut ist. Bei Von Scholz spricht Clotald innerlich ergriffen eine einzige Zeile: ‘Wer gab dir diese Waffe?... Wer?’ Am Ende ihres Berichtes sagt Rosaura zu ihm: ‘Was ist Euch? Was verhüllt Ihr Euer Haupt?’ Einem modernen Theaterpublikum genügt das und unserer modernen Welt bedeutet ein solcher Zug eine Verfeinerung, obwohl diese Bezeichnung, als Urteil ausgesprochen, der typischen Barockhaltung nicht gerecht wird. Einen ähnlichen Unterschied weist der Anfang des zweiten Bildes auf. Bei Von Scholz befindet sich Estrella auf der Bühne, Astolf erscheint mit seinem Gefolge. Calderon hatte es sich nicht nehmen lassen, beide zugleich, von kriegerischer Musik begleitet, von entgegengesetzten Seiten eintreten zu lassen. Bei Calderon nimmt Estrella die Werbung Astolfs an, bei Von Scholz lehnt sie sozusagen ab, eine Vorbereitung auf den späteren Ausgang des Stückes. Auch die Worte des Basilius, dasz beide als ein Paar herrschen sollen, wenn Sigismund die Probe nicht besteht, sind weggelassen. Milder sind die Worte der Prophezeiung: ‘Sein Vater wird nach unheilvollen Kriegen besiegt vor dieses | |
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Sohnes Füszen liegen!’ Im dritten Bild berichtet Clotald in einer kurzen Anfangszene vom Schwerte. Die Szene mit Basilius, wo dieser die beiden Gefangenen begnadet, wird weggelassen. Nicht von Rosaura, sondern von Klarin erfährt Clotald, dasz sie seine Tochter ist. Eine Milderung finden wir auch da, wo Sigismund den Kammerherrn aus dem Fenster ins Meer wirft. Bei Von Scholz schickt er ihm einen guten Schwimmer nach und der Mann wird gerettet. Bei aller Milderung ist aber die Handlung doch gar nicht weniger lebhaft als bei Calderon, nur die Mittel sind anders. Hauptsache dabei sind die rasche Rede und Gegenrede, die einen groszen Unterschied zur Vorlage hervorrufen. Bei Calderon hielten die Figuren lange Reden und dadurch sonderten sie sich von den andern ab. Jeder Mensch stellte seine eigene Rolle dar. Ihre Bindung war das gemeinsame Spielen, bei Von Scholz tritt daneben das menschliche Verstehen, dazu ändert er die Handlung etwa in der Begegnung Sigismunds mit Rosaura am Hofe. Bei Calderon spricht sie nur wenige Zeilen zu ihm, im neuen Stücke gibt sie in wiederholter Anrede ihrer Gesinnung Ausdruck. Neu ist auch der Auftritt, wo dem Sigismund auf schlaue Weise der Schlaftrunk gereicht wird, der ihn in den Turm zurückführen soll. Die Szene im fünften Bild, wo der ruhelose Basilius dem Erwachen des Sohnes beiwohnt, ist stark ausgedehnt. Bei Calderon hatte Basilius gesündigt gegen ewige Gesetze und in wenigen Worten kann er seine Reue aussprechen. Im modernen Stück hat ein Mensch sich autonom geglaubt und ins Schicksal eingegriffen, da ist die Verzweiflung maszlos und viele Worte werden gebraucht, diese zu äuszern. Bei Calderon hatte Basilius im voraus schon Estrella und Astolf als Thronerben bestimmt, wenn Sigismund die Probe nicht bestehen sollte. Bei Von Scholz nicht, im sechsten Bild wird nun Astolf zum Erben und Kronprinzen erhoben, zusammen mit Clotald bringt er aber den König dazu, die Entscheidung noch einen Tag zu verschieben. Sie beide, aber auch Estrella und vor allem Rosaura haben in dem modernen Stück mit gutem Menschenverständnis das trotz allem Königliche im Wesen Sigismunds erkannt. Das bei Calderon kurze Gespräch zwischen Clotald und Rosaura ist bei Von Scholz ausgedehnt, er gibt sich als ihren Vater zu erkennen. Auch jetzt verlangt sie Rache an Astolf, gröszer aber ist ihre Besorgnis um das Los Sigismunds. Das siebente Bild wird eingefügt, in dem sie sich ein Pferd holen und Kleider geben | |
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läszt um zum Sigismund zu reiten. Das achte Bild bringt seine Befreiung. Es ist Rosaura selber, die den Soldaten vorangeht. Der Hauptmann rechtfertigt die Revolution, welche dient ‘zu befreien ihn, der mit dem Rechte seines Königstums dem Aufruhr selbst das Recht gibt, aufzuflammen’. Auch hier betrachtet Sigismund alles als Traum, aber er will diesen sofort, denn Traum ist alles Leben. Gegen Ende, wenn Calderons Basilius die unverrückbare Fügung des Himmels anerkennt, ist er in diesem Stück resigniert, er hat ein irdisches Spiel verloren und bereut seinen Mangel an Vitalität: ‘Wer zuviel nachdenkt, schwankt und ist verloren.’ Sigismund tritt hervor, das Schicksal erfüllt sich. Als gerechter König will er Astolf und Rosaura verbinden, Astolf lehnt ab, er kennt ihren Vater nicht. Daraufhin nimmt Sigismund sie als Gemahlin, jetzt gibt Clotald allen seine Vaterschaft bekannt. Für die Frage, was mit dem Hauptmann der Aufrührer geschehen soll, gibt Von Scholz eine kluge Lösung: ‘Ich halt Euch nah bei mir. So seid geehrt und - unter Aufsicht Ihr!’ Diese Lösung zeigt noch einmal, wie durch kleine Züge die Handlung in menschliches Mitund Nebeneinander abgebogen wurde. Klarin stirbt nicht, spricht auch keine bedeutenden Worte, sondern begrüszt als letzter das hohe Liebespaar mit Blumen und mit den Schluszworten: ‘Ich gratuliere.’ So stehen wir am Ende auch dieser freien Nachdichtung. Wir haben verfolgt, wie ganz im Gegensatz zu Hofmannsthals Stück fast dieselbe Handlung mit denselben Personen als bei Calderon sich abspielte. Oft konnte man mehr von einer ganz wortgetreuen Übersetzung als von einer Neudichtung sprechen. Und trotzdem wäre es möglich, gerade hier von einer modernen, einer neuen Auffassung zu sprechen und einen gröszeren Gleichklang zwischen Hofmannsthal und Calderon als zwischen Von Scholz und seiner Vorlage herauszuhören. Bei Hofmannsthal wurde betont, wie Calderon Ausgangspunkt war, wie dann Zeitelemente aufgenommen wurden und einwirkten, Calderons Idee aber das Moment des Stückes blieb. Eben um diese Idee rein zur Erscheinungsform zu bringen war der ungeheure Kräfteaufwand bei der Erneuerung der Gestalt nötig. Bei Von Scholz ist das Calderonmotiv auf dem Wege, wie ein schöner Mantel zu werden, wie der Rahmen, in den das Bild gehängt wird Bei Calderon und Hofmannsthal war die Hauptfrage, ob die | |
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Menschen, d.h. die Hofschauspieler auf der Weltbühne, ihre Rolle gut spielten, bei von Scholz werden Handlungen der Menschen autonom, gegenseitig sind sie sich wichtig, ihre persönlich-seelische Bewegtheit, ihre psychologische Charakteristik ist von Bedeutung, im Rahmen des Barock macht eine moderne Innerlichkeitswelt sich geltend. Wollen wir hoffen, dasz das Stück von Wilhelm von Scholz oft gespielt wird und dasz manche Zuhörer dazu kommen, es mit Calderon und Hofmannsthal zu vergleichen. Es wird sie veranlassen, sich mit sehr wichtigen Fragen zu beschäftigen. ‘La Vida es Sueño’ por Calderón de la Barca. Biblioteca de Clásicos Amenos. Editorial ‘Razon y Fe.’ Madrid. J.A. HEBERLE. |
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